Verkehrsinfrastruktur in Europa

Wir haben eine Studie über die Entwicklung der Verkehrsinfrastruktur in Europa durchgeführt. Die Studie wurde von der europäischen Mobility4all-Kampagne von Greenpeace in Auftrag gegeben. Das Wuppertal Institut hat an der Studie mitgewirkt.

Dabei haben wir in 30 europäischen Ländern die Investitionen in den Straßenbau und für Schienenwege recherchiert, sowie die Entwicklung der Länge von Straßen und Eisenbahnen. Die 30 Länder sind EU-27, Norwegen, Schweiz und das Vereinigte Königreich, als Zeitraum haben wir 1995 bis heute gewählt, da Informationen von vor 1995 kaum vorliegen.

Daraufhin haben wir die Entwicklung der Nachfrage auf diesen Verkehrsträgern analysiert und geprüft, in welchem Ausmaß sie durch das Angebot beeinflusst wurden. Schließlich haben wir auch nach stillgelegten Eisenbahnstrecken gesucht, um Investitionsprioritäten besser zu verstehen. Unser englischsprachiger Blog thematisiert die Ergebnisse der Arbeit und die Politikempfehlungen, die wir daraus ableiten. An dieser Stelle geht es um die Situation in Deutschland.

Was haben wir über Straßen und Schienenwege in Deutschland herausgefunden?

Laut Verkehr in Zahlen wurde in Deutschland zwischen 1995 und 2021 ungefähr doppelt so viel in neue Straßen wie in neue Schienenwege investiert (Verhältnis 2,05). In absoluten Zahlen gerechnet ergibt das 329 Milliarden Euro für den Straßenneubau und -ausbau und 160 Milliarden Euro für die Schiene in diesem Zeitraum. Wenn man nur die vergangenen Jahre ab 2018 bis 2021 zählt, dann liegt das Verhältnis bei 1,84 und damit noch immer deutlich zu Ungunsten neuer Schieneninfrastruktur.

Deutschland ist zudem ein unrühmliches Beispiel für umfängliche Stilllegung von Schienenwegen: Laut dem Eisenbahnbundesamt wurden im Zeitraum 1994 bis 2018 Schienenwege in Bundeseigentum mit einer Gesamtlänge von 5.148 km als Folge der anvisierten Bahnprivatisierung stillgelegt. Dabei handelte es sich um Linien mit Güter- und Personenverkehr. Glücklicherweise ist die Stilllegungswelle aber inzwischen gestoppt und es gibt sogar eine leichte Gegenbewegung reaktivierter Strecken.

Die Allianz pro Schiene hat berechnet, dass seit der Bahnreform 1994 in Deutschland über 3.600 km Strecken des Schienenpersonennahverkehrs abbestellt und über 900 km reaktiviert wurden (Stand heute). Sie hat eine Liste mit weiteren Reaktivierungsvorschlägen erstellt. Darin enthalten sind Linien, die in großen Teilen schon früh nach dem Krieg für den Personenverkehr stillgelegt worden waren. Die Stilllegungen fanden vor der Einheit vor allem in Westdeutschland statt, Ostdeutschland war eher nach der Einheit betroffen. Der Güterverkehr ist ebenfalls stark betroffen, sowohl auf Strecken in Bundes- als auch in Privateigentum.

Insgesamt zeigen die Recherchen trotz erfreulicher Reaktivierungen deutlich, dass der Straßenbau strukturell übervorteilt wurde und weiterhin wird. Allein das Netz von Bundesautobahnen hat sich von 11.200 km im Jahr 1995 auf 13.200 km im Jahr 2020 und damit um 18% erweitert (siehe Abbildung).

Entwicklung Schienennetz und Autobahnnetz in Deutschland 1995-2020

Quelle: DIW/DLR 2022: Verkehr in Zahlen 2022/2023, 51. Jahrgang. Eigene Darstellung.

Kontraproduktive Politik

Der Zustand der Eisenbahninfrastruktur hat sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verschlechtert. Initiativen wie diejenige für ein 49 Euro Ticket sind löblich, können aber eine gewünschte Wirkung nicht entfalten, wenn sich die Züge ständig verspäten oder es womöglich gar keine Anbindung gibt. Umgekehrt zeigt das Interesse am 49 Euro Ticket (und am 9 Euro Ticket, welches es für drei Monate gegeben hatte), dass die Bahn dem Auto häufig vorgezogen wird, wenn sie bei Komfort, Preis und Fahrzeit gegenüber dem Auto kompetitiv ist.

Die Bundespolitik kann dies erreichen, wenn sie die ihr vorhandenen Mittel für die Schiene verwendet. Nach Jahrzehnten des Straßenbaus ist dies geboten. Über die Infrastruktur wird auch die Wirkung anderer Politikinstrumente beeinflusst. Beispiel Pendlerpauschale: Sie wird unabhängig von der Verkehrsmittelnutzung vergeben. Wenn aber die Bahn gegenüber dem Auto für Fernpendelnde keine sinnvolle Alternative bietet, dann wirkt die Pendlerpauschale wie eine Subvention von Mobilität mit dem Pkw. Das Auto erscheint den Berufspendler*innen dann nämlich gleichermaßen günstig wie alternativlos. Die Agora Verkehrswende hat bereits die Schwachstellen der Pendlerpauschale aufgezeigt und Änderungsvorschläge unterbreitet. Die hier vorliegende Studie dokumentiert milliardenschwere Prioritäten für den Straßenbau – nötige Änderungen liegen auf der Hand.